Trägerwohnungen erhalten, prüfen und beschlagnahmen

DS/0986/V

Initiator: Oliver Nöll

Die Bezirksverordnetenversammlung möge beschließen:

Das Bezirksamt wird beauftragt, zu prüfen, welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen, sogenannte Trägerwohnungen im Falle der Kündigung durch den Vermieter für die Betroffenen zu erhalten.

Insbesondere soll geprüft werden, unter welchen Voraussetzungen eine ordnungsrechtliche Sicherstellung solcher Wohnungen nach den Maßgaben der §§ 38ff. ASOG möglich ist.

Soweit diese rechtlichen Möglichkeiten vorhanden sind, soll das Bezirksamt diese auch ergreifen, um gerade Menschen mit Behinderungen im Bezirk ihr Recht auf eine angemessene Wohnung gem. Art. 28 der Berliner Verfassung zu gewährleisten.

 

Begründung:

Im Rahmen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen bzw. auch der Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach dem SGB XII mieten freie Träger der Wohlfahrtspflege Wohnungen an, um diese Wohnungen entsprechend (barrierefrei) herzurichten und sie an Menschen mit Behinderungen und andere Personengruppen mit besonderen Hilfebedarfen, verknüpft mit begleitenden Leistungen, weiterzuvermieten und ihnen dadurch ein selbstbestimmtes Leben in eigenem Wohnraum zu ermöglichen (Trägerwohnungen).

In diesem Zusammenhang gibt es folgendes Grundproblem: Wird Wohnraum an einen sozialen Träger vermietet, damit dieser die Wohnungen an Hilfsbedürftige weitervermietet, so kommt nach der Rechtsprechung des Kammergerichtes Berlin (zuletzt Urteil des Kammergerichtes vom 9. August 2018, Az.: 12 U 2/18) grundsätzlich Gewerbemietrecht zur Anwendung.

Die Mieter*innen-Schutzvorschriften der §§ 573 ff. BGB kommen daher nur zur Anwendung, wenn dies explizit vereinbart ist. Bei bereits länger bestehenden Mietverträgen ist dies regelmäßig nicht der Fall. Das hat insbesondere zur Folge, dass der Vermieter kein berechtigtes Interesse gem. § 573 Abs. 2 BGB an der Beendigung des Mietverhältnisses geltend machen muss und der Mieter kein Widerspruchsrecht gem. § 574 BGB wegen unbilliger Härte der Kündigung hat.

Der extrem angespannte Wohnungsmarkt in Berlin hat zur Folge, dass zunehmend sozialen Trägern die Wohnungen gekündigt werden. Das obengenannte Urteil des Kammergerichtes Berlin könnte diese Entwicklung zusätzlich befeuern.

Damit besteht die Gefahr, dass unzähligen Menschen mit Behinderungen bzw. Menschen, die auf besondere soziale Hilfen angewiesen sind, der Gang in die Wohnungslosigkeit droht. Dies insbesondere deshalb, weil diese Menschen aufgrund der mit ihren Einschränkungen oftmals einhergehenden sozialen Lage sowie den besonderen Anforderungen an ihre Wohnbedingungen am Wohnungsmarkt ins Hintertreffen geraten und keinen adäquaten neuen Wohnraum finden.

Da ein soziales Gewerbemietrecht auf Bundesebene auf absehbare Zeit nicht in Sicht ist, müssen das Land Berlin und seine Bezirke alle ihnen offenstehenden rechtlichen Möglichkeiten offensiv nutzen, um diese besonders schutzbedürftigen Menschen vor den Zumutungen des Berliner Wohnungsmarktes abzuschirmen, unter Umständen auch mit radikalen Maßnahmen, wie der ordnungsrechtlichen Sicherstellung von Wohnungen.