Prüfung des Erhalts der Wohnbebauung am Hafenplatz
Initiatorinnen: Gaby Gottwald; Kerima Bouali
Die Bezirksverordnetenversammlung möge beschließen:
Das Bezirksamt wird aufgefordert, ein eigentümerunabhängiges Bausubstanzgutachten in Auftrag zu geben, das bis Ende September 2024 die Möglichkeiten des Erhalts sowie der Fortnutzung der Bebauung mit den Adressen Bernburger Str. 20-21 / Ecke Köthener Str. 33 („Gebäude Nord“), Köthener Str. 28-32 / Hafenplatz 6-7 („Gebäude West“) und Hafenplatz 5 („Gebäude Ost“) insbesondere hinsichtlich Statik und Umgang mit Schadstoffen prüft, die dafür erforderlichen Voraussetzungen bewertet und eventuell notwendige Anpassungen des Bestands benennt, sowie die aufzuwendenden Kosten für die entsprechende Ertüchtigung den Abriss- bzw. Teilabrisskosten gegenüberstellt. Hierbei sollen auch Möglichkeiten der Verdichtung überprüft werden.
Vorbereitend und zur Auswertung des Gutachtens sollen öffentliche Anhörungen im Ausschuss stattfinden, welche die Szenarien Sanierung und (Teil-)Abriss unter Berücksichtigung von u.a. mietenpolitischen, wohnungswirtschaftlichen, ökologischen, klimapolitischen, sozialen, städtebaulichen und baukulturellen Aspekten einander gegenüberstellt.
Begründung:
Am 11.09.2019 stellten die Gesellschafterinnen der Grundstücksgesellschaft Hafenplatz Berlin mbH als Eigentümerin der o.g. Liegenschaften zusammen mit der Gewobag in der Sitzung des Ausschusses für Stadtentwicklung und Wohnen ein städtebauliches Entwicklungskonzept für das Grundstück zwischen Bernburger Straße, Köthener Straße und Hafenplatz vor. Das laut Aussage der Investorinnen mit dem Stadtplanungsamt baurechtlich abgestimmte Konzept sah – nachdem bereits erste Untersuchungen des Baubestands aus den 1970er Jahren und Ermittlungen des Sanierungsbedarfs im Auftrag der Eigentümerin erfolgt waren – den Erhalt und die Sanierung wesentlicher Teile der vorhandenen Bebauung sowie einen Teilabriss mit Ersatzneubau und punktuelle Nachverdichtung vor. In 2020 erging ein auf zwei Jahre befristeter Bauvorbescheid für dieses Vorhaben. Nach einem Eigentümerwechsel wurden am 25.01.2024 neue Planungen präsentiert, die eine drastische Erhöhung der GFZ von 2019 vorsahen und den Komplettabriss der vorhandenen Bebauung vorsehen.
Knapp viereinhalb Jahre nach Verkündigung von Sanierungsabsichten werden damit die aktuell fast vollständig vermieteten Wohngebäude von Seiten der Eigentümerin in Gänze als nicht erhaltenswert eingestuft und ihr Abriss als unumgänglich dargestellt. Diese Einschätzung stützt sich zum einen auf eine von der Gewobag im Frühjahr 2023 erstellte „Betrachtung der Bestandsgebäude im Hinblick auf Erhalt oder Abbruch bei zukünftiger Wohnnutzung durch die Gewobag“. Zum anderen hatte die Firma LCEE Life Cycle Engineering Experts GmbH auf Basis von Bestandsgutachten im Februar 2023 ein von der Eigentümerin beauftragtes „Nachhaltigkeitskonzept“ vorgelegt, das drei stark divergierende Entwicklungsvarianten ökobilanziell miteinander vergleicht: Bestandserhalt im Ist-Zustand ohne Sanierung (Szenario 1, BGF: 39.500 m2); Teilsanierung und Teilabriss mit Ersatzneubau in Massivbauweise (Szenario 2, BGF: 51.520 m2); Komplettabriss mit Ersatzneubauten in Holz-Hybrid-Bauweise und Stahlbetonkonstruktion (Szenario 3, BGF: 100.000 m2).
Im Auftrag des Bezirksamtes wurden weiterhin zwei Stellungnahmen eingeholt: Erstens hat das bezirkliche Hochbauamt die Einschätzungen vorliegender Bausubstanzgutachten, Gutachten zu Schadstoffuntersuchungen, Brandschutz und der Standsicherheit als plausibel eingestuft. Zweitens beurteilte ein Ingenieurbüro das Nachhaltigkeitskonzept der Firma LCEE als ebenfalls weitgehend plausibel. Seine Ausführungen enthalten jedoch auch einen kritischen Hinweis zur Vergleichbarkeit der darin betrachteten Varianten. So wird u.a. das veranschlagte CO2-Äquivalent für Holz-Hybrid-Bauweise für zu niedrig erachtet, so dass sich bei einer Neuberechnung unter veränderten Voraussetzungen bzw. Werten, wie in der Stellungnahme vorgeschlagen, die für Variante 2 und 3 ermittelten Treibhauspotenziale (GWP) pro Nettogrundfläche (NGF) in kg CO2-Äq./m2 im Jahr annähern würden.
Ungeachtet dieser Unklarheiten fehlt jedoch bislang gänzlich eine eigentümerunabhängige Untersuchung, die die Möglichkeiten des Bestandserhalts oder Teilerhalts zum Gegenstand hat und auf Grundlage einer Beurteilung der Bausubstanz deren Voraussetzungen benennt. Ein solches Gutachten ist für die Abwägung ökologischer, klimapolitischer, sozialer, städtebaulicher, baukultureller und ökonomischer Aspekte, die von der aktuell seitens der Eigentümerin anvisierten Entwicklung des Grundstücks Bernburger Straße, Köthener Straße und Hafenplatz unter Voraussetzung des Totalabrisses der vorhandenen und weitgehend bewohnten baulichen Strukturen unmittelbar berührt werden, unverzichtbar.