Antrag auf Entscheidung der Bezirksaufsicht gegen die Beanstandungen der BVV-Beschlüsse „Einwendungen gegen die Führung der Geschäfte des Bezirksamtes bezüglich der Wahlkreiseinteilung 2026“ und „Wahlkreiseinteilung für die Abgeordnetenhauswahl 2026
zur BVV am 16.09.2025
Die Bezirksverordnetenversammlung beschließt:
Die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin akzeptiert nicht die Beanstandungen ihrer Beschlüsse (DS/1743/VI und DS/1744/VI) durch das Bezirksamt und beantragt gemäß §18 BezVG die Bezirksaufsicht gegen die Beanstandung der BVV-Beschlüsse zur Drs. DS/1743/VI und DS/1744/VI durch das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin und beauftragt das Bezirksamt entsprechend tätig zu werden.
Begründung:
Die vom BA vorgetragenen Beanstandungsgründe überzeugen nicht. Insbesondere ist das Recht zur Kontrolle und Einwendungserhebung gem. § 17 Abs. 1 BezVG keine Rechtskontrolle des Bezirksamtshandelns. Es kommt nicht darauf an, ob der Bezirksamtsbeschluss rechtswidrig ist.
Für die rechtliche Position der Ersetzungsbefugnis der BVV spricht politisch ebenfalls die größere demokratische Legitimation der vom Volk gewählten BVV-Verordneten gegenüber dem nur von der BVV gewählten BA, was gerade im Bereich der Wahlen von Bedeutung ist. In der Sache ist der Beschluss der BVV auch wahlrechtlich zu bevorzugen, da das sachliche Kriterium der gleichen Verteilung der Deutschen besser berücksichtigt ist als bei dem Beschluss des BA.
Zu den rechtlichen Gründen Im Einzelnen:
Für das Selbsteintrittsrecht der Bezirksverordnetenversammlung sieht § 12 Abs. 3 S. 1 BezVG die Möglichkeit der Ersetzung nach Kontrolle vor: Gemäß § 17 Abs. 1 BezVG kann die BVV feststellen, dass gegen die Führung der Geschäfte Einwendungen zu erheben sind. Gemäß § 12 Abs. 3 S. 1 1. Alt BezVG kann nach „Kontrolle (§ 17)“ eine Entscheidung des Bezirksamts ersetzt werden. Damit sind zwei Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines Ersetzungsbeschlusses bestimmt: (1) Eine Entscheidung des Bezirksamts (welche ersetzt werden kann). (2) Erhebung einer Einwendung gem. § 17 Abs. 1 BezVG (vgl. auch Musil/Kirchner, Das Recht der Berliner Verwaltung 2022, S. 172).
Ausgenommen hiervon sind Entscheidungen gem. § 12 Abs. 3 S. 2 BezVG, sowie Entscheidungen, die durch Gesetz ausdrücklich dem Bezirksamt (bspw. dem Bezirkswahlamtes gem. LWG/LWO) zugewiesen sind oder in das Selbstorganisationsrecht des Bezirksamtes eingreifen.
Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg hat die Wahlkreiseinteilung am 12.08.2025 beschlossen und dieser Beschluss fällt in keinen der oben angeführten Ausnahmenfälle.
Vorab zu bemerken ist, dass die Kompetenz der BVV schon nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Da die Aufgabe der Wahlkreisziehung dem Bezirk zugewiesen ist, liegt keine ausschließliche Zuständigkeit des Bezirksamtes vor. Insbesondere liegt keine, wie im Wahlrecht sonst häufige, ausschließliche Zuständigkeit des Bezirksamts in Form des Bezirkswahlamtes vor – vielmehr spricht § 9 Abs. 4 LWG nur von der Abgrenzung durch die Bezirke, sodass die BVV nicht präkludiert davon ist, einen eigenen Beschluss in der Sache zu treffen.
Die Frage, die sich dann stellt ist, ob mittels § 17 Abs. 1 BezVG gegen diese Wahlkreisziehung Einwendung erhoben werden kann – diese Frage ist zu bejahen, unabhängig davon ob die Wahlkreisziehung des Bezirksamtes rechtmäßig oder rechtswidrig war.
Das Recht zur Kontrolle und Einwendungserhebung gem. § 17 Abs. 1 BezVG ist keine Rechtskontrolle des Bezirksamtshandelns. Vielmehr ist es Aufgabe der BVV gem. § 17 Abs. 1 BezVG „das Handeln des Bezirksamtes unter bezirkspolitischen Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten“ (Musil/Kirchner, Das Recht der Berliner Verwaltung 2022, S. 168) zu begleiten. Das bedeutet, dass eine Einwendung gegen den vom Bezirksamt beschlossenen Wahlkreiszuschnitt nicht erfordert, dass der Wahlkreiszuschnitt rechtswidrig ist. Vielmehr kann diese Einwendung auch erhoben werden, wenn und soweit die BVV meint, dass dieser Beschluss nicht ihrem Willen entspricht. Dies ergibt sich auch schon daraus, dass dem Bezirksamt die Rechtmäßigkeitskontrolle überliegt (§ 18 BezVG).
Die BVV hat ihrer Entscheidung materielle Gründe für die Einwendungen gegen die Führung der Geschäfte zugrunde gelegt: Einerseits entspricht die Genese der beschlossenen Bezirksamtsvorlage nicht den verwaltungsrechtlichen Prinzipien, da sie nicht aus einem unparteiischen Prozess hervorging, sondern direkt die Umsetzung eines schriftlich vorliegenden Auftrags einer Partei darstellt. Andererseits und entscheidend ist die unzureichende substanzielle Qualität der beschlossenen Bezirksamtsvorlage, die sich bereits aus dem Vergleich mit dem Beschluss zur Neugliederung des Wahlkreisverbandes aus dem Jahr 2020 (DS/1704/V) ergibt. Zur Bestimmung der Wahlkreiseinteilung kann nicht lediglich auf einen bunt bemalten Stadtplan verwiesen werden, sondern es bedarf wenigstens in der Anlage zum Zeitpunkt des Beschlusses einer textlichen Abgrenzung der Wahlkreise und einer Aufstellung der sich daraus ergebenden Anzahl wahlberechtigter Deutscher in den einzelnen Wahlkreisen und der sich daraus ergebenden prozentualen Abweichung, so dass ersichtlich wird, das und ob die Kriterien für die Wahlkreiseinteilung erfüllt werden.
Darüber hinaus ist das Mittel der Einwendungen gegen die Führung der Geschäfte auch als ein genuin politisches Mittel zulässig, welches in der Vergangenheit von der BVV Friedrichshain-Kreuzberg auch als solches benutzt wurde (vgl. DS/2235/V – Missbilligung von Monica Herrmann; Musil/Kirchner, Das Recht der Berliner Verwaltung 2022, S. 199).
Dies ergibt sich auch aus der systematischen Auslegung des § 12 Abs. 3 BezVG. Das dort geregelte Ersetzungsrecht geht von einer zeitlichen Unterscheidung aus. Wohingegen die Ersetzung iVm. § 13 Abs. 2 BezVG eine vorgelagerte Willensbildung der BVV vorsieht, welche nicht umgesetzt wurde, geht die Ersetzung iVm. § 17 BezVG von einer nachgelagerten Willensbildung der BVV, also nach Befassung des Bezirksamtes, aus. Da es jedoch jeweils um eine Abweichung des Bezirksamts vom Willen der BVV geht, kann es im Ergebnis keinen Unterschied in der Anwendung des § 12 Abs. 3 BezVG geben, je nachdem ob es vor oder nach Befassung des Bezirksamtes zur Willensbildung der BVV kam. Da insoweit nicht bezweifelt werden kann, dass die BVV ein Ersuchen um einen konkreten Wahlkreiszuschnitt beschließen hätte können, bei dessen fehlender/mangelhafter Umsetzung eine Ersetzung möglich wäre – so kann mithin nicht bezweifelt werden, dass mit der Einwendung gem. § 17 Abs. 1 BezVG auch die Ersetzung vorbereitet werden kann. Auch spricht der Wortlaut des § 17 BezVG dafür, indem er den Begriff der Einwendung benutzt, statt des Begriffs der Beanstandung, welcher in § 18 BezVG auf rechtlichen Gründen fußende Bedenken gegen Beschlüsse vorsieht. Mit dem Begriff der Einwendung kann insoweit keine rechtliche Vorprüfung verbunden sein. Überdies ist die BVV auch gar nicht darauf ausgerichtet eine rechtliche Kontrolle gem. § 17 BezVG vorzunehmen – die entsprechenden Verwaltungsressourcen hat das Bezirksamt, wie in § 18 BezVG anerkannt und in §34 (3) BezVG institutionalisiert. Obwohl die BVV kein Parlament ist, so liegen in den Kontroll-, Budget und Entscheidungsrechten doch „parlamentsähnliche“ (Kirchner/Wolf in Ogorek/Badenberg, Art. 72 VvB Rn. 5) Züge – da die Kontrollfunktion von echten Parlamenten eine genuin politische ist, kann für die BVV hier nichts anderes gelten.
Wenn insoweit gem. § 17 Abs. 1 BezVG gegen den Beschluss über die Wahlkreiseinteilung Einwendung erhoben wurde, kann gem. § 12 Abs. 3 S. 1 1. Alt BezVG die BVV einen eigenen Beschluss über die Wahlkreiseinteilung vornehmen und den ursprünglichen Beschluss ersetzen.
