Regelförderung statt immer neuer Projekte
Meine Sicht auf die Diskussionen nach den Silvesterereignissen
Nicht erst seit letztem Silvester berichten Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit und der aufsuchenden Jugendsozialarbeit in unserem Bezirk von gewalttätigen Vorfällen, die von Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen ausgehen. Das lässt sich in beiden Ortsteilen beobachten und ist mitnichten eine Gewalt, die lediglich von jungen Menschen mit Migrationsbiografie ausgeht. Das kann gar nicht oft genug betont werden.
Diese Gewaltvorfälle haben ihren Ursprung in sozialen Ungleichlagen und sind Ausdruck gesellschaftlicher Probleme, die besonders in beengten Wohnvierteln vorkommen. Gerade junge Menschen mussten während der Pandemie auf vieles verzichten, um Ältere zu schützen. Bestehende Problemlagen, Bildungsungerechtigkeit wurden verstärkt. Homeschooling z. B. ist in kleinen Wohnungen viel schwerer zu organisieren und durchzuführen als in Wohnungen, in denen jeder ein separates Zimmer nutzen kann. In der Folge ist zahlreichen Jugendlichen der Zugang zu einem Schulabschluss, in eine Berufsausbildung erschwert. Sie benötigen intensive Begleitung außerhalb ihres Elternhauses und gute Angebote der Jugendberufshilfe.
Nach dem Auftakt des Gipfels gegen Jugendgewalt gab es Folgeveranstaltungen, in denen Expert*innen aus der Praxis, junge Menschen und Verwaltung über gelingende Gewaltprävention diskutierten und ihren jeweiligen Ansatz einbrachten. Ich war Mitglied der Arbeitsgruppe »außerschulische Jugendsozialarbeit«, wir tagten in sieben Untergruppen. In allen Untergruppen herrschte Einigkeit darüber, dass ausfinanzierte Regelstrukturen – die schon da sind – am besten auf kurzfristige Veränderungen des Bedarfs reagieren können. Unentwegt neu aufgelegte Projekte, deren Finanzierung nach Auslaufen von den Bezirken gestemmt werden müssen, sind kontraproduktiv. Freie Träger brauchen Planungssicherheit über mehrere Jahre, auch um qualifiziertes Personal f inden und halten zu können. Die Arbeit vor Ort ist Beziehungsarbeit und wirkt dann präventiv, wenn langfristig enge Bindungen zu jungen Menschen aufgebaut werden.
In dicht bebauten Innenstadtbezirken sind Räume für Kinder und Jugendliche knapp, es bedarf der Schaffung von Flächen im öffentlichen Raum, in denen man sich ungestört begegnen kann, sowie der Sicherung von bestehenden Einrichtungen. Orte, an denen sich junge Menschen aus dem gesamten Stadtgebiet treffen, müssen gesamtstädtisch betrachtet und finanziert werden.
Der Weg in die Selbständigkeit gelingt in der Regel über eigenen Wohnraum. Der angespannte Wohnungsmarkt ermöglicht es wenigen, auszuziehen und sich vom Elternhaus zu lösen. Gerade bei sozial schwachen Familien ist das ein großes Problem. Deshalb ist es dringend notwendig, dass jungen Menschen bezahlbare Wohnungen zur Verfügung gestellt werden.
Junge Menschen wissen selbst am besten, welche Wünsche sie haben, sie sind die Expert*innen ihrer Lebenswelt. Das muss sich auch in unseren Beteiligungsverfahren widerspiegeln. Bei der Planung sind sie mit einzubeziehen und ist ihren Wünschen und Anregungen Rechnung zu tragen. Dann gelingt die Einbeziehung und es wächst eine Verantwortlichkeit für das eigene Handeln.
Fazit: Es gilt, die vorhandenen, vielfältigen Angebote in der Kinder- und Jugendarbeit und der Jugendsozialarbeit innerhalb dieser Stadt zu vernetzen, nachhaltig und auskömmlich zu finanzieren. Dazu gehört auch ein ressortübergreifendes Gesamtkonzept der Senatsverwaltungen Jugend, Sport und Inneres unter Einbeziehung der Polizei. Dann kann gelingen, dass sich Vorfälle wie an Silvester nicht wiederholen.