Hafenplatz: Rede von Kerima Bouali zur BVV am 24.04.2024
Ende Januar wurden im Ausschuss für Stadtentwicklung und Wohnen Pläne und Visualisierungen für ein komplett neues Wohn- und Gewerbequartier am Hafenplatz namens „Kulturhafen“ vorgestellt. Aus Sicht der Projektentwickler gibt es etwas, das dieser Planung im Weg steht: Das sind erstens die Bestandsbauten aus den 1970er Jahren und es ist zweitens diese Frage: Ist das noch Wohnraum – oder kann das weg?
Die Antwort darauf wurde im Ausschuss gleich mitpräsentiert, und zwar in Form eines Bausubstanzgutachtens. Dieses kommt zu dem Schluss, dass der vorhandene Bestand nicht erhaltenswert sei. Die Lösung: Totalabriss und Neubebauung des Areals mit erheblich gesteigerter Dichte. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass noch im September 2020, also keine dreieinhalb Jahre vorher, denselben Projektentwicklern ein Bauvorbescheid für eine anderslautende Planung erteilt wurde, die eine Teilsanierung des Bestandes und einen Teilabriss mit Ergänzungsneubau vorsah.
Schon das macht deutlich, dass die Frage, wie erhaltenswert die Bestandsbauten sind, offenbar zu unterschiedlichen Zeitpunkten recht unterschiedlich gesehen werden kann. Deshalb drängt sich der Linksfraktion in Friedrichshain-Kreuzberg die Frage auf, mit welchem Fokus das jetzt vorgelegte Gutachten erstellt wurde. Anders formuliert: Wer lieber alles neu bauen und dabei seine vermarktbaren Anteile im Vergleich zum Bauvorbescheid von 2020 auf fast 100.000 qm verdoppeln möchte, dem steht der Bestand möglicherweise im Weg.
Nun ist es nicht so, dass wir uns als LINKE angesichts des massiven Wohnungsmangels gegen den Bau neuer Wohnungen stellen würden. Wir sind sogar sehr dafür, dass beim Hafenplatz mit der Gewobag ein städtisches Unternehmen beteiligt ist und so dauerhaft bezahlbarer Wohnraum realisiert werden könnte. Aber an einem solchen Punkt stehen wir gar nicht. Er ist bislang reine Spekulation. Es stellt sich nämlich zunächst folgende Frage: Was geht verloren, wenn wir der vorgelegten Planung folgen?
- Was geht verloren an bedarfsgerechten Wohnungsgrößen?
- Was geht verloren an bezahlbaren Mieten?
- Was geht verloren an gewachsener Nachbarschaft?
Wichtig ist es deshalb die Bestandsbauten mit dem erforderlichen Ernst und Respekt zu behandeln, ein Aspekt, der Ende Januar während der Präsentation der städtebaulichen Entwürfe auch schon zur Sprache kam. Hier stellen sich eine Reihe sehr bedenkenswerter Fragen:
- Welche Folgen hätte der Abriss für die heutigen Bewohner*innen des Quartiers?
Diese Frage betrifft unmittelbar die Wohnraumversorgung derjenigen, die aktuell vor Ort leben oder leben könnten. Für sie sind die Wohnungen im Quartier Hafenplatz mehr als nur ein Dach über dem Kopf – sie sind ein Zuhause und ein Schlüssel zu einer lebendigen Nachbarschaft. Die 358 Wohnungen – davon 117 Trägerwohnungen – sind bedarfsgerecht und bezahlbar für die Menschen, die jetzt dort wohnen.
Zusätzlich gibt es ca. 360 gewerblich genutzte Wohneinheiten. Der große Anteil von bezahlbaren 1-Zimmerwohnungen deckt den Bedarf in einem Segment, in dem in Berlin ein erheblicher Mangel herrscht. Mit dem Abriss würde dieses Angebot vermutlich erheblich reduziert.
Gleichzeitig ist nicht geklärt, was mit den Mieter*innen während der Bauzeit geschehen soll, gibt es doch so gut wie keinen Leerstand in dieser Stadt.
2. Wie sieht die ökologische Bilanz aus beim Vergleich von Sanierung und Erhalt versus Abriss und Neubau – und zwar in absoluten Zahlen?
Diese Frage berührt unmittelbar Fragen von Ökologie und Klimaschutz. Architekt*innen, Stadtplaner*innen, Umweltverbände und Mietervertretungen fordern in Zeiten der sich zuspitzenden Klimakrise vehement ein Abrissmoratorium, da der Ressourcenverbrauch beim Umbau und der Ertüchtigung im Bestand letztlich klima- und ressourcenschonender ist als bei Totalabriss plus Neubau. Die Architektenkammer Berlin spricht sich in einem Positionspapier explizit für eine Priorisierung von Bestandsertüchtigungen gegenüber Neubauvorhaben aus.
Aus Sicht der Linksfraktion in Friedrichshain-Kreuzberg müsste deshalb mindestens so viel Fantasie und Ehrgeiz in die Entwicklung von Konzepten fließen, mit denen die Bestandsbebauung am Hafenplatz zu einem zukunftsfähigen Quartier bei leistbaren Mieten ertüchtigt werden kann, wie sie in den Plänen zur Neubebauung präsentiert wurden.
3. Wie steht es um unsere Baukultur, wenn Gebäude, die gerade einmal fünfzig Jahre alt sind, leichtfertig „entsorgt“ werden, um heutigen Wirtschaftlichkeitskriterien Platz zu machen?
Die Baukultur ist ein weiterer stiefmütterlich behandelter Aspekt, wo immer renditeorientierte Stadtentwicklung betrieben werden soll. Die Zerstörung des Bestands bedeutet nicht nur die Gefahr von Verdrängung ärmerer Bevölkerungsgruppen und einen ökologisch schädlichen Umgang mit vorhandenem Wohnraum, sondern auch eine baukulturelle „Abwertung“ der Bebauung der 70er Jahre. Die IBA hat hier mit ihrem Hineinwirken in das Quartier am Hafenplatz programmatisch eine Verbindung zur IBA-Bebauung hergestellt und so den Wert der bestehenden Bebauung anerkannt.
Ergänzend zum sinnvollen Neubau bezahlbarer Wohnungen muss es vielmehr auch heißen: „Stehenlassen, was heute steht, bewohnt und gebraucht wird“! Wir benötigen eine Rückkehr der behutsamen Stadterneuerung in Berlin.
Unser Fazit:
Das Ziel des weiteren Prozesses zum Hafenplatz muss es sein, die relevanten Fragen von sozialer Wohnraumversorgung, Ökologie, Wirtschaftlichkeit, Städtebau und Baukultur im Zusammenhang zu denken.
Klar muss sein, dass alle Mieter*innen, die bleiben wollen – und zwar auch diejenigen mit befristeten Mietverträgen – eine bedarfsgerechte Wohnung am Hafenplatz zugesichert bekommen müssen. Das ist in einem Sozialplanverfahren zu ermitteln und in einem Städtebaulichen Vertrag zu fixieren. Die Sicherung der Bewohnbarkeit der Wohnungen während der Bauphase gehören dann in den möglicherweise folgenden Schritten ebenso dazu wie eine Beteiligung der Mieter*innen am Prozess.
Als ersten Schritt fordern wir jedoch aus den dargelegten Gründen ein eigentümerunabhängiges Bausubstanzgutachten – mit klarem Fokus auf maximalen Bestandserhalt und den Spielräumen einer Bausubstanzertüchtigung.